Zwischen bin Laden, Madonna und dem Glauben: Die IGS Friesland Nord sieht Lessings „Nathan der Weise“
„Was ist das für ein Gott, der für sich muss kämpfen lassen?" Eine berechtigte Frage, die in Zeiten von fundamentalistisch motivierten Terroranschlägen aktueller nicht sein könnte. Das dachte sicherlich auch die Landesbühne Nord, die dieses Zitat titelte und wieder einmal die verbindliche Abiturlektüre aufführte. Für den 12. Jahrgang der IGS Friesland Nord also gleich zwei Gründe für einen gelungenen Theaterbesuch.
Zwischen bin Laden, Madonna und dem Glauben: Die IGS Friesland Nord sieht Lessings „Nathan der Weise“
„Was ist das für ein Gott, der für sich muss kämpfen lassen?" Eine berechtigte Frage, die in Zeiten von fundamentalistisch motivierten Terroranschlägen aktueller nicht sein könnte. Das dachte sicherlich auch die Landesbühne Nord, die dieses Zitat titelte und wieder einmal die verbindliche Abiturlektüre aufführte. Für den 12. Jahrgang der IGS Friesland Nord also gleich zwei Gründe für einen gelungenen Theaterbesuch.
Lehrer und Schüler warteten gebannt auf den Beginn von Lessings „Nathan“, einem dramatischen Gedicht, das so häufig schon Abiturlektüre war, dass alle anwesenden Lehrkräfte es bereits in der eigenen Schulzeit behandelt hatten. Lessings Klassiker handelt von dem reichen Kaufmann Nathan, der im Volksmund stets als weise beschrieben wird, von einer Geschäftsreise wiederkehrenden, erfährt, dass seine (Zieh-)Tochter Recha von einem Tempelherrn gerettet wurde, den diese für einen Engel hielt. Ihm danken wollend geht der Jude Nathan zum Christen Tempelherrn, wobei die Grenze zwischen den Religionen und das damit verbundene Konflikpotential in den Zeiten der Glaubenskriege dargestellt wird. Eine Szene, die mit einer Feindschaft beginnt, mit den Worten „Wir müssen, müssen Freunde werden" schließt und Religionen überwindet. Im weiteren Verlauf des Stückes trifft Nathan auf andere Glaubensgegner, die spätestens nach der Ringparabel, dem Herzstück des Dramas, Werte wie Toleranz, Nächstenliebe und Brüderlichkeit vor ihre Religion stellen.
Das Warten schien ein Ende zu haben, das Stück ging endlich los und dann: Dunkelheit, wenig Licht und Schatten.
Ganz im Widerspruch zur in der Aufklärung häufig verwendeten Lichtmetaphorik waren Bühnenbild und Kostüme sehr dunkel und farblos gehalten und den Boden bedeckte kein leuchtender Sand wie in Jerusalem, dem Handlungsort des Stückes, sondern ein schwarzer, dunkler, kalter Boden.
Das Stück begann und man fühlte sich schon fast wie auf der Schulbank, als Johannes Simons in der Rolle des Nathan, dem „Lehrer der Aufklärung", mit Kreide an das diesmal eher ungewöhnlich wirkende Bühnenbild schrieb und formte aus den Buchstaben EU und USA letztendlich den Schauplatz als Symbol für die immerwährende Handlung, die weder an Grenzen noch an Zeit und Raum gebunden ist. Ein Dreieck als Darstellung der drei großen Weltreligionen zierte die Bühne und nicht nur die Kanten der Kulisse, sondern auch Islam, Juden- und Christentum kollidieren im 1779 veröffentlichten Theaterstück. Diese bedrohlich wirkende dunkle Schönheit stellte nicht nur jeden durch veränderte Beleuchtung verschieden aussehenden Handlungsort dar, sondern drehte sich zum Szenenwechsel und bot Platz für den einen Kostümwechsel bergenden Burkatanz Sittahs, des Sultan Saladins Schwester, zu Madonnas Hit „Like a Virgin" von 1984.
Die musikalische Unterstützung schien im von Regisseur Jochen Strauch und Dramaturgin Saskia Zinsser-Krys inszenierten Drama eine besonders große Rolle zu spielen, denn in vielen Furcht gebietenden Situationen war ein Ticken, vielleicht das einer Zeitbombe, kaum zu überhören, stellte einen Bezug zu (kürzlich) verübten Terroranschlägen her und unterstrich die Bedrohlichkeit und die Folgen der Glaubenskriege.
Wieder einmal beweist die Landesbühne Nord eine unaussprechliche Aktualität und begeistert spätestens mit Auftritt Madonnas ebenfalls sowohl Augen als auch Ohren der jungen Zuschauer. Die 1958 geborene Sängerin thematisiert in ihren Liedern häufig ihre Hassliebe zur Religion, mit der sie als Jugendliche nach vielen Jahren streng katholischer Erziehung brach. Mindestens genauso gut wie Madonnas Textpassagen, passten auch aktuell in der öffentlichen Kritik stehende Gesichter wie das Donald Trumps, einem scheinbar intoleranten Nationalisten, oder Gesichter ehemaliger Terroristen Osama bin Laden, der – unlängst klärte Navid Kermani uns gleich im doppelten Sinne auf – falschgedeutete Stellen des Korans als fundamentalistisches Motiv für Terroranschläge verwendete. Umso passender also nicht nur die Inszenierung der Landesbühne, sondern auch „Nathan der Weise" als verbindliche Abiturlektüre, der in seiner Zeitlosigkeit wohl immer, aber besonders gegenwärtig gespielt werden kann und auch sollte.
Gefangen zwischen Schwärmen, Nachdenken, dem inneren Ringen mit sich selbst und zahlreichen Zuschauern, die zurecht applaudieren und dem Ensemble für das überaus gelungene Theaterstück danken, schließt das Stück mit einem Appell in Form eines Zitates von Rumi, einem der größten Dichter des Mittelalters: „Draußen hinter den Ideen vom rechten und falschen Tun liegt ein Acker. Wir treffen uns dort. Das ist die ganze Aufgabe. Aber um sie zu erledigen, bedarf es zweier Voraussetzungen. Erstens muss man sich treffen wollen, und zweitens, muss man den Acker tatsächlich bearbeiten."
Es bleiben ein großartiges Stück, eine großartige Inszenierung und die kleine Hoffnung, dass bisweilen jeder ein Stück Nathan in sich selbst erspäht.
Von Dominik Schrage (Schüler der Oberstufe)