Wir leben in einer Zeit, die von Krieg, Flucht und Terror geprägt wird, ohne dass wir in Wahrheit die leiseste Ahnung davon haben. Wir scheinen viel von diesen Dingen zu wissen, dennoch kann sich kaum ein Europäer aus unserer Generation vorstellen, wie es ist, Krieg im eigenen Land erleben zu müssen und zu fliehen, dem allgegenwärtigen Tod zu entrinnen. Vielleicht sogar zu sehen, wie ein Teil seiner Familie an den Folgen des Krieges sterben muss, ohne die Chance zu haben zu trauern. Ohne diese Menschen begraben zu können, da man weiter fliehen muss, um irgendwann vielleicht in die EU zu gelangen.
„Man hat uns Videos geschickt, meiner Familie, als ich sie noch hatte, inzwischen alle tot, alle tot, kein einziger noch da, ich bin der letzte, mein alter Horizont nicht Gegenstand mehr, dem steht nichts entgegen, sie sind ja alle weg, alle tot, nur ich nicht, ich bin jetzt da, und was machen Sie mit mir? Ich bin da, was machen Sie jetzt mit mir?“ Die Schutzbefohlenen
Jeder von uns kennt die Bilder aus dem Fernsehen, die an Grausamkeit kaum zu überbieten sind. Dennoch scheint jeder ohne Probleme die Verantwortung und das Mitgefühl von sich wegschieben zu können. Doch was ist, wenn ein Krieg innerhalb Europas ausbrechen würde? Ein Krieg, der alles Vorstellbare in den Schatten stellt, ein Krieg, der nur von Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten getaktet zu sein scheint? Diese Fragen werden uns die nächsten Unterrichtsstunden begleiten, egal ob ihr in der 6. oder 12. Klasse seid. Durch das Projekt „Unsere Schule liest ein Buch“ werden wir uns mit dem Thema „Krieg in der heutigen Zeit“ beschäftigen. Jeder von uns wird sich mit der Frage befassen, wie es ist, vor einem Krieg zu flüchten, was es heißt, auf Ablehnung anderer Menschen zu treffen, die meist unberechtigt zu sein scheint. Die Schüler des 11. Jahrgangs, die Darstellendes Spiel gewählt haben, beschäftigten sich zum Einstieg in das Thema mit dem Drama „Die Schutzbefohlenen“, welches von der renommierten Autorin Elfriede Jelinek geschrieben und durch die Oberspielleiterin der Landesbühne Nord Eva Lange inszeniert wurde. Durch dieses Stück erhielt jeder Einzelne die Möglichkeit, sich in die Situation hineinzuversetzen, als Geflüchteter ständig auf die Ablehnung der Einheimischen zu treffen. Das Stück legt den Fokus auf die Sicht der Flüchtlinge, die versuchen, sich in einem fremden Land zu integrieren, jedoch nur Ablehnung und Hass durch die einheimische Bevölkerung erfahren.
„Wir leben. Wir leben. Hauptsache, wir leben, und viel mehr ist es auch nicht als leben nach Verlassen der heiligen Heimat. Keiner schaut gnädig herab auf unseren Zug, aber auf uns herabschauen tun sie schon. Wir flohen, von keinem Gericht des Volkes verurteilt, von allen verurteilt dort und hier." Die Schutzbefohlenen
Nach der Theatervorführung wurde die Oberspielleiterin Eva Lange in Begleitung von Dramaturgin Lea Redlich zu einem Nachgespräch in den 11. Jahrgang eingeladen. Intensiv sprachen die Schüler mit Frau Lange und Frau Redlich über die szenischen Inhalte, die Gestaltungsmittel des Theaterstückes, die Zusammenarbeit des Theaters mit Geflüchteten und viele weitere Aspekte. Ich glaube, dass das Projekt „Unsere Schule liest ein Buch“ eine großartige Möglichkeit ist, einen Eindruck davon zu erlangen, wie es ist, einen Krieg miterleben zu müssen, ohne eine Wahl zu haben. Wir alle sollten uns endlich klarmachen, dass es ein großes Privileg ist, keinen Krieg vor unserer Haustür erleben zu müssen. Dieses Privileg ermöglicht es uns, sorglos in die Zukunft schauen zu können, ohne Angst vor dem allgegenwärtigen Tod haben zu müssen. Das Buch ermöglicht uns daher eine Art Perspektivenwechsel auf eine vollkommen andere Situation und erweitert somit den Horizont.